1 Begriffsbestimmungen
Die Gründung erster Einkaufsgemeinschaften liegt mehr als 100 Jahre zurück. Häufig, aber nicht ausschließlich, war und ist die Erzielung von Vorteilen auf der Beschaffungsseite eine Motivation für solche Zusammenschlüsse. Im Zeitablauf sind weitere Aspekte wie die Unterstützung der Absatz- und Marketingseite, z. B. durch Markenbildung und ein einheitliches Corporate Design hinzugekommen.
Die Bildung von Einkaufsgemeinschaften war und ist nicht auf den Groß- und Einzelhandel beschränkt. Hier gibt es auch viele Beispiele aus dem Bereich Handwerk sowie auf der Herstellerseite. In jüngerer Vergangenheit haben sich z. B. auch viele Einkaufsgemeinschaften im Bereich Klinikeinkauf gebildet.
Die Bildung von Einkaufsgemeinschaften ist auch nicht auf bestimmte Branchen beschränkt. Einkaufsgemeinschaften gibt es z. B. in den Branchen Augenoptik bis Zoo- und Tiernahrung.
Wesentlich für die Bildung von Einkaufsgemeinschaften ist, dass von den sich zusammenschließenden Mitgliedern Materialien, Waren oder Dienstleistungen vergleichbarer Art beschafft werden. Dies können Handelswaren wie Möbel, Schuhe und Sportartikel, vom Handwerk benötigte Artikel (z. B. Baumaterialien, Sanitär- und Heizungsartikel), aber z. B. auch Holzstoffe für die Möbel Herstellung sein.
Unabhängig von der Stufe der Wertschöpfungskette, in der sich die Einkaufsgemeinschaft gebildet hat, gibt es bei den beschaffenden Mitgliedern und den Lieferanten jeweils gleichartige Bedarfslagen, die wir nachfolgend skizzieren und betrachten wollen.
2 Ausgangslage
Unter einer Einkaufsgemeinschaft wird an dieser Stelle ein freiwilliger Zusammenschluss von Unternehmen einer horizontalen Ebene zur Erzielung von Einkaufsvorteilen verstanden. Es gibt eine Vielzahl von weiteren Bezeichnungen, die für Einkaufsgemeinschaften verwendet werden, so z. B. Verbundgruppe, Einkaufsverband, Einkaufskooperation, Einkaufsgenossenschaft. Wir verwenden den Begriff „Einkaufsgemeinschaft“ synonym für all diese Bezeichnungen. Den Zusammenschluss von privaten Verbrauchern, z. B. zum gemeinsamen Einkauf von Gas, betrachten wir an dieser Stelle nicht.
In der Regel geht der Zusammenschluss von Unternehmen mit der Gründung eines Unternehmens mit eigener Rechtspersönlichkeit der Einkaufsgemeinschaft einher. Die verwendete Rechtsform variiert, sehr häufig erfolgt die Gründung in Form einer GmbH & Co. KG, bei der die sich zusammenschließenden Unternehmen Gesellschafter in Form von Kommanditisten werden. Ebenfalls häufig sind die Rechtsformen der Genossenschaft bzw. Aktiengesellschaft zu finden, bei der die sich zusammenschließenden Unternehmen Mitglieder bzw. Aktionäre werden. Wir verwenden im Weiteren den allgemeinen Begriff „Mitglieder“.
Der Einkauf der Mitglieder erfolgt i. d. R. bei Herstellern/Produzenten bzw. Großhandelsunternehmen. Wir verwenden hier im Folgenden den allgemeinen Begriff „Lieferanten“.
3 Motivation/en
3.1 Mitglieder
Typischerweise verhandelt die Einkaufsgemeinschaft für die Mitglieder zentrale Konditionen mit Lieferanten. Dies können Bonusvereinbarungen für die Einkäufe aller Mitglieder bei einem Lieferanten, Werbekostenzuschüsse wie auch Lieferbedingungen sein, die im Rahmen einer zentralen Vereinbarung festgehalten werden. Insbesondere, wenn die Einkaufsgemeinschaft ein zentrales Abrechnungssystem wie eine Zentralregulierung implementiert, gehören hierzu auch Zahlungsbedingungen in Form von Zahlungszielen und Skontosätzen.
Die Mitglieder wünschen sich häufig längere Zahlungsziele von den Lieferanten und wollen so die eigene Liquiditätssituation optimieren, insbesondere, wenn die Mitglieder auf ihrer Absatzseite z. B. ebenfalls Zahlungsziele einräumen müssen, es starke saisonale Schwankungen und/oder es einen längeren Timelag zwischen dem Einkauf und dem Verkauf gibt. Als Beispiel sei hier der Bezug und der Verkauf von Gartenmöbeln genannt. In diesen Fällen wünschen sich die Mitglieder häufig zusätzliche Valuten zu den Zahlungszielen.
Neben den über die Einkaufsgemeinschaft zentral verhandelten Konditionen haben die Mitglieder die Möglichkeit, individuelle (abweichende oder zusätzliche) Konditionen mit einem Lieferanten zu vereinbaren. Sehr häufig sind das z. B. Hausbonus-Vereinbarungen für die individuellen Einkäufe eines Mitgliedes bei einem Lieferanten.
3.2 Einkaufsgemeinschaft
Die Einkaufsgemeinschaft übt i. d. R. ein Verhandlungsmandat aller Mitglieder für die Vereinbarung zentraler Konditionen mit einem Lieferanten aus. Mit dem Abschluss einer entsprechenden Rahmenvereinbarung listet die Einkaufsgemeinschaft den Lieferanten in einem Lieferantenverzeichnis auf und empfiehlt den Mitgliedern, den Einkauf bevorzugt über die „gelisteten Lieferanten“ zu tätigen.
Die Sicherstellung von Bezugsquellen für die Mitglieder wird in Zeiten von Lieferengpässen eine zunehmend wichtigere Aufgabe der Einkaufsgemeinschaft darstellen. Hierzu gehört sicherlich auch die Identifikation von alternativen Beschaffungsquellen/Lieferanten.
Viele Einkaufsgemeinschaften unterhalten ein Zentrallager, um die Warenverfügbarkeit für die Mitglieder mengenmäßig und/oder zeitlich sicher zu stellen.
3.3 Lieferanten
Der Einkaufsumsatz aller Mitglieder bei einem Lieferanten im Verhältnis zum Gesamtumsatz des Lieferanten lässt Rückschlüsse auf die „Marktmacht“ der Einkaufsgemeinschaft zu. Je höher dieses Verhältnis ist, umso eher wird der Lieferant zu Konditionszugeständnissen bereit sein.
Andererseits eröffnet ein niedriges Verhältnis einem Lieferanten ggf. ein zusätzliches Umsatzpotential, z. B., weil der Lieferant aktuell noch nicht alle Mitglieder als Kunden beliefert. Auch in diesem Fall wird der Lieferant zu Konditionszugeständnissen bereit sein.
Konditionszugeständnisse im Bereich von erweiterten Zahlungszielen führen bei einem Lieferanten zu einem höheren Liquiditätsbedarf, wenn der Lieferant auf seiner Beschaffungsseite die Zahlungsziele nicht verändern kann.
Erweiterte Zahlungsziele führen auch zu einem höheren Forderungsbestand gegenüber einem Mitglied und damit einem höheren Absicherungsbedarf für das Forderungsausfallrisiko. Hier ist es für den Lieferanten vorteilhaft, wenn in einem Abrechnungssystem der Einkaufsgemeinschaft das Forderungsausfallrisiko (Delkredererisiko) von der Einkaufsgemeinschaft oder einem Dritten zu 100% und möglichst unlimitiert übernommen wird.
Lieferanten haben als Absicherungsalternative die Möglichkeit eine Warenkreditversicherung abzuschließen. Diese deckt i. d. R. jedoch nur das Risiko bis zur Höhe des für ein Mitglied eingeräumten Limits mit einem (Risiko-)Selbstbehalt von 10 bis 20% eines Ausfallschadens ab.
4 Zusammenfassung
Lieferanten sichern sich über die Belieferung von Mitgliedern einer Einkaufsgemeinschaft Umsätze bzw. können zusätzliche Umsatzpotenziale nutzen.
Höhere Risiken, z. B. durch die Gewährung längerer Zahlungsziele, lassen sich über ein geeignetes Abrechnungssystem der Einkaufsgemeinschaft bzw. einen Dritten absichern.
Ein höherer Liquiditätsbedarf kann von einem Lieferanten über moderne Finanzierungsformen wie Factoring oder eine Vorfinanzierung im Rahmen eines Abrechnungssystems wie der Zentralregulierung abgedeckt werden. Factoring und Zentralregulierung schließen sich bei gleichzeitiger Nutzung nicht zwangsläufig aus.
Lieferanten können über ein zentrales Abrechnungssystem der Einkaufsgemeinschaft organisatorische Vorteile z. B. im Debitoren-Management, in der Debitoren-Buchhaltung, im Mahnwesen und je nach Belegverfahren auch im Rechnungsversand nutzen.
Mitglieder sichern sich über eine Einkaufsgemeinschaft konditionelle Vorteile bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen. Zudem profitieren die Mitglieder liquiditätsseitig, wenn Lieferanten längere Zahlungsziele einräumen. Alternativ oder zusätzlich lassen sich in Abrechnungssystemen wie der Zentralregulierung Zahlungszielverlängerungen auf der Mitgliederseite implementieren.
Mitglieder können über ein zentrales Abrechnungssystem der Einkaufsgemeinschaft organisatorische Vorteile in den Bereichen Kreditorenbuchhaltung, Rechnungsprüfung und Archivierung von Rechnungsbelegen nutzen.
Einkaufsgemeinschaften können davon profitieren, wenn ein Abrechnungssystem wie eine Zentralregulierung ganz oder in Teilen auf einen Dritten wie z. B. eine Bank ausgelagert wird. Mitglieder sind i. d. R. Anteilseigner und die Einkaufsgemeinschaft ggf. nicht unbefangen in der Bonitätsbeurteilung der Mitglieder.
Eine laufende Bonitätsüberwachung durch einen Dritten entlastet zudem die Zentrale der Einkaufsgemeinschaft.
Es müssen weniger rechtliche Rahmenbedingungen beachtet werden, eine Erlaubnis bzw. Freistellung muss nicht eingeholt werden.
Autor: Redaktion FINtatio